29.05.12

Erziehungsfähigkeit

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Begriff

Der Begriff Erziehungsfähigkeit steht im Zusammenhang mit dem Förderungsgrundsatz, dem in Umgangsverfahren (neben der Frage der Bindung und dem mitunter noch bemühten Kontinuitätsprinzip) eine zentrale Bedeutung zukommt. Nach den Definitionen der Rechtsprechung - sprich: in Urteilen immer wieder zu lesenden Formulierungen - kommt es beim Förderungsgrundsatz darauf an, in wie fern Eltern die "Bereitschaft, Fähigkeit und die Möglichkeit zur Förderung des Kindes" haben. Dabei stellt sich das Problem der Feststellbarkeit und objektiven Messbarkeit von Erziehungsfähigkeit.[1]

 

Kriterien

Neben dem Willen zählen also die persönliche Eignung und, wie dies beispielsweise der Beschluss des OLG Stuttgart vom 14.3.2007 (Az. 16 UF 13/07) - natürlich zu Gunsten einer Mutter - betont, die dem jeweiligen Elternteil zur Verfügung stehende Zeit.[2] Im umgekehrten Fall, wenn ein Vater mehr Zeit für die Betreung erübrigen kann als die Ex-Partnerin, ist es dagegen durchaus möglich, dass Richter - sowie wie am OLG Brandenburg im Beschluss 10 UF 204/08 vom 9.3.2009 geschehen - der Verwahrung des Kindes in einer von der Mutter ausgewählten Kinderkrippe Vorrang einräumen, auch wenn der ausweislich des Familiengerichts zur Erziehung geeignete Vater sich gerne selber um sein Kind kümmern würde.[3]
Bei solchen Urteilen waren mutmaßlich Sachverständige beteiligt, die ein ähnlich mittelalterliches Denken kultivieren wie der gerne vom Familiengericht Cochem als Gutachter hinzu gezogene Diplom(?)-Psychologe Eberhard K., welcher noch einem sehr tradierten Verständnis von den Geschlechterrollen anhängt. So äußerte sich Herr K. anlässlich eines Mediationsgespräches dahingehend, der Wunsch, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen, sei "für einen Mann nicht normal, vielmehr solle es einem Mann genügen, seine Kinder gut aufgehoben und versorgt zu wissen". Zu dem Bedürfnis des Vaters, eine intensive Bindung zu den Kindern haben bzw. behalten zu wollen (jener hatte sie während der zurückliegenden 10 1/2 Jahre vor der Trennung überwiegend betreut und erzogen) konterte er: "Männer, die 6 Monate im Jahr auf Montage in Kuwait sind, haben auch intensive Bindungen zu ihren Kindern", außerdem könne er "das Gerede von intensiver Bindung nicht mehr hören" und "In 10 Jahren sind sie [die Kinder] sowieso aus dem Haus". Hierzu erübrigt sich jeder weitere Kommentar. 

Ansonsten reklamierte der Sachverständige eine "Verbesserung der beruflichen Integration" des Vaters, obgleich dieser dem Gutachterich mehrfach mitgeteilt hatte, er sähe seine Aufgabe vordringlich darin, sich um die Erziehung seiner Kinder zu kümmern, weshalb für ihn - jedenfalls bis zur Klärung der Frage, wie viel Umgang er denn zukünftig mit seinen Kindern haben dürfe - die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht in Betracht käme, da sie ihm Zeit für die Betreuung der Kinder nehmen würde [im Übrigen schmälert es ja - siehe oben - für einen Mann die Chancen, vor Gericht mehr Umgang zu erreichen, wenn er sich erwerbsbedingt nicht so viel kümmern kann, weshalb der Gutachter den Mann auch zur Arbeit drängen wollte, dann wäre seiner Umgangsklage nämlich der Boden entzogen]. 

Auf den Punkt gebracht bedeutet das folgendes. Wenn eine Frau nicht erwerbstätig ist, bescheinigt ihr das Gericht, sie habe mehr Zeit, sich um die Förderung der Kinder zu kümmern. In Stuttgart wurde speziell auf schulische Belange, Hilfe bei den Hausaufgaben etc. abgehoben, das zieht immer, zumindest im Fall von Müttern (einem Vater wurde dagegen vom OLG Köln, Beschluss 4 UF 114/09 vom 01.09.2009, gesagt, es sei nicht entscheidend, dass er dem Kind besser die deutsche Sprache vermitteln könne, schließlich brauche Sprachförderung nicht unbedingt von den Eltern persönlich geleistet zu werden). Wenn sich dagegen ein Mann vorrangig um seine Kinder kümmern will, behandeln Gerichte ihn im besten Fall wie einen liebenswerten, aber halt doch etwas exzentrischen Sonderling, nicht selten aber auch wie einen Geisteskranken (siehe unten), denn normalerweise geht ein Mann ja arbeiten (in wie weit ist irgendein Bürojob eigentlich noch "männlich", was immer das überhaupt sein mag?) und überlässt solch mythische Dinge wie Windeln wechseln, Fläschjen und Breichen geben usw. seiner Frau. 

Während es also bei einer Frau nicht negativ ins Gewicht fällt, wenn sie keiner bezahlten Arbeit nachgeht, wird das bei Männern gerne zum Nachteil stilisiert, weil ein Hausmann (so eine Familienrichterin) "nicht wirklich erfolgreich" und damit für seine Kinder ein schlechtes Leitbild sei (auch wenn er keineswegs faul zu Hause rumhockt, sondern beispielsweise Fachbücher schreibt, arbeitsintensiven Weinbau in Steilstlagen betreibt oder immer wieder qualifiziert Handwerksleistungen im Bereich des eigenen Anwesens erbringt).
Tja, da schnappt die Falle dann zu: geht Mann arbeiten, wird ihm mehr Umgang wegen Zeitmangel verweigert. Geht er nicht arbeiten, suggeriert man ihm, seine Kinder müssten sich für ihn schämen und die Erwerbstätigkeit der Mutter wird - genau anders herum als im Stuttgarter Urteil die Erwerbstätigkeit des Vaters - plötzlich als Aspekt zu ihren Gunsten gedeutet. Eine solche Argumentation ist schlechterdings unanständig! 



Wer da einen möglichen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG wittert, hat Recht. Außerdem ist gleichzeitig Art. 3 Abs. 3 GG tangiert, weil in der veröffentlichten Rechtsprechung zum Paritätsmodell bzw. paritätischen Wechselmodell kein Urteil auffindbar ist, welches das Faktum der Nichterwerbstätigkeit zum Nachteil von Müttern interpretiert hätte. Leider haben manche Richter und ihre für das gefällige Erstellen von Gutachten fürstlich honorierten Knechte noch nicht begriffen, dass wir dankenswerterweise in einer pluralistischen Gesellschaft leben dürfen, die beiden Geschlechtern viele Möglichkeiten der Entfaltung zubilligt. Bevormundungen seitens selbsternannter Lebensexperten sind nicht nur unangemessenen, sondern verstoßen auch, so mit ihnen Sorgerechtsentscheidungen begründet werden, gegen das Grundgesetz.
Übrigens: die Eignung zur Erziehung wurde bislang noch nicht richterlich definiert. Ziemlich eindeutig ist eigentlich nur, dass Alkoholismus, Drogensucht oder schwere psychische Störungen Zweifel an der Fähigkeit zur Förderung und damit an der Erziehungsfähigkeit begründen. Und da kann es dann, sofern man auf skrupellose Menschen trifft, so richtig hart und schmutzig werden. Denn: wenn eine Mutter nur laut genug jammert und zu verstehen gibt, sie würde depressiv, falls sie sich das Umgangsrecht mit dem Vater teilen müsse, liegt für manche Gutachter und Richter der Königsweg darin, dem Vater zu attestieren, er sei psychisch krank. Das ist zwar Rechtsbeugung der übelsten Art, passiert aber leider (wie oft, wäre mal in Väterforen zu erfragen) und kann quasi wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung funktionieren, wenn der Vater - und darauf wird spekuliert - ob solch infamer Versuche, ihn zu diffamieren, die Beherrschung verliert.
Also Leute: nicht den Kopf in den Sand stecken, sich weiter wehren, aber vor allen Dingen Ruhe bewahren, sonst geht es Euch wie Herwig Baumgartner




Noch ein paar Betrachtungen zum Thema 

 

Im familiengerichtlichen Diskurs wird der Begriff "Erziehungsfähigkeit" oft verwendet. Außerhalb des Bereiches familiengerichtlicher Verfahren spielt dagegen, soweit zu sehen, dieser Begriff keine Rolle. So werden sich zwar viele Lehrer über die Erziehungskompetenz der Eltern ihrer Schüler Gedanken machen, ohne dabei jedoch auf die Idee zu kommen, den Begriff "Erziehungsfähigkeit" zu benutzen, geschweige denn untersuchen zu wollen, wie es um die Erziehungsfähigkeit der Eltern bestellt wäre. Ganz anders dagegen in familiengerichtlichen Verfahren. Hier wird häufig der Begriff "Erziehungsfähigkeit" benutzt, obwohl dieser Begriff im Gesetz an keiner einzigen Stelle zu finden ist.[4]


 
Erziehungsfähig oder nicht erziehungsfähig, das ist hier die Frage
Die Erziehungsfähigkeit ist, wie jeder der beruflich mit Kindern zu tun hat, weiß, eine relationale Fähigkeit. Das heißt, ein und dieselbe Person kann bezüglich eines Kindes mehr erzieherische Kompetenzen haben und zu einem anderen Kind geringere erzieherische Kompetenzen. Dies ist der normale Alltag von Eltern wie auch von Lehrern. An einem Kind verzweifelt der Lehrer fast und glaubt bald daran, generell als Lehrer zu versagen, mit anderen Kindern aus derselben Klasse kommt der Lehrer sehr gut zurecht. Ebenso geht es Eltern, mit der pubertierenden Tochter schreit sich ein Vater an, mit dem fünfjährigen Sohn klappt es wunderbar. Aus diesen Gründen ist die Frage nach einer generellen Erziehungsfähigkeit von Eltern unsinnig und unpräzise, vielmehr muss immer konkret benannt werden, im Hinblick auf wen die die Erziehungsfähigkeit beurteilt werden soll.[4]


 
Warum lässt sich eine "Erziehungsfähigkeit" gar nicht messen?
Das Wort "Erziehungsfähigkeit" unterstellt, dass Menschen eine "angeborene" und messbare Eigenschaft oder Fähigkeit besäßen, zu erziehen. Es wird unterstellt, dass man Menschen nur nach bestimmten Merkmalen untersuchen müsse und dann sagen könne, dass sie die Fähigkeit hätten zu erziehen. Dabei wird eine künstliche Unterteilung unternommen zwischen Menschen welche erziehen können und andere welche nicht erziehen können. Gleichzeitig wird unterstellt, dass für eine förderliche Entwicklung eines Kindes nur die "richtige" Erziehung zum Erfolg führe. Kinder werden hier wie ein Stück Knete betrachtet: Wer die richtigen "Modellierfähigkeiten" sprich Erziehungsfähigkeiten besäße, so wird geglaubt, kann aus dem Stück Knete einen psychisch gesunden Menschen formen ...
Fragt man Gutachter danach, an welchen Merkmalen sie nun erkennen können, dass ein Mensch erziehungsfähig sei, erhält man grundsätzlich keine klaren Antworten und schon gar keine wissenschaftlich fundierten Begründungen. Denn:
Das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" birgt dabei folgende Schwierigkeiten, welche in gutachterlicher Hinsicht zur Unmöglichkeit einer Beantwortung der Beweisfrage führt:
Das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" kennt weder die Pädagogik (= Wissenschaft von der Erziehung) noch die Sozial-Pädagogik:
In den Erziehungswissenschaften ist eine "Erziehungsfähigkeit" als besondere mess- oder beschreibbare Eigenschaft nicht bekannt. Jeder Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge, der behauptet man könne "Erziehungsfähigkeit" konkret umschreiben, hat keine Ahnung.
Das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" ist auch in der Psychologie unbekannt
Auch die wissenschaftliche Psychologie kennt das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" nicht:[5]
"In den psychologischen Sachverständigengutachten finden sind immer wieder Aussagen über die Eignung der Eltern zur Erziehung ihres Kindes. Die Vorstellung, eine positiv zu konstatierende erzieherische Eignung der Kindeseltern ließe sich als entscheidendes Kriterium feststellen, hat in der Tat etwas Bestechendes für sich. Unausgesprochen wird dabei von der Fiktion ausgegangen, beide Elternteile verfügten über eine graduell unterschiedliche erzieherische Eignung, und dies ließe sich auch noch mit der wissenschaftlich gebotenen Exaktheit diagnostizieren. Leider haben wir aber keine speziell für die erzieherische Eignung geeichten psychologischen Untersuchungsverfahren. Darum sind Aussagen über ein Mehr oder Weniger an erzieherischer Eignung bei den Kindeseltern Extrapolationen anderer Untersuchungsergebnisse, also nicht exakt, wenn sie nicht gar subjektive Meinungen und Deutungen sind." (Zitat Ende - Hervorhebungen Unterzeichner)
Es existieren keine anerkannten wissenschaftlichen Methoden, um das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" in beweiserheblichem Sinne messen zu können.
Auch wenn die Autoren Westhoff und Kluck hier glauben, es handele sich um seltene Fälle, wenn das Gericht Fragestellungen vorlegt, zu denen in der Psychologie kein Wissen vorliegt:
"In seltenen Fällen werden Fragestellungen geäußert, zu denen in der Psychologie kein Wissen vorliegt bzw. kein Wissen vorliegen kann, weil die empirische Untersuchung solcher Sachverhalte prinzipiell nicht möglich ist. [...] Handelt es sich also um eine prinzipiell nicht zu beantwortende Fragestellung, so erklären wir dies dem Fragesteller. Im Gespräch kann eventuell gemeinsam eine Fragestellung zur Lösung des Problems gefunden werden, die auch untersucht werden kann." [6]
so sagen sie ganz klar, wie ein Gutachter zu reagieren hat, damit er seinen Auftrag erfüllen kann. 


FAZIT:
Eine wissenschaftlich fundierte Aussage zur Frage, ob jemand erziehungsfähig sein soll, ist nicht möglich. Im juristischen Sinne lässt sich daher weder beweisen ob jemand "erziehungsfähig" ist, noch lässt sich generell eine Aussage treffen, dass eine Person "erziehungsunfähig" sein könne. Auch die öfters in Gutachten anzutreffende Feststellung einer "eingeschränkten" Erziehungsfähigkeit lässt sich mit wissenschaftlichen und damit beweiserheblichen Methoden nicht belegen.[1]
 

Literatur

  • Alice Miller: Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp, 1980 

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Kinderklau-Blog: Unfähige Gutachter glauben, die "Erziehungsfähigkeit" messen zu können, 26. Februar 2009
  2. OLG Stuttgart: Sorgerecht: Zulässigkeit der gerichtlichen Anordnung eines Wechselmodells, Beschluß vom 14.3.2007, 16 UF 13/07
  3. OLG Brandenburg: Kein Vorrang des Vaters bei der Betreuung anstatt Kinderkrippe, Beschluss vom 9.3.2009 (10 UF 204/08)
  4. 4,0 4,1 System Familie: Erziehungsfähigkeit
  5. Siehe dazu die Ausführungen von Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Klenner, Oerlinghausen (in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ, 1989, Heft 8, Seiten 804-809, Vertrauensgrenzen des psychologischen Gutachtens im Familienrechtsverfahren)
  6. Karl Westhoff, Marie-Luise Kluck: "Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen", 5. vollst. überarb. u. erw. Aufl., 2008, ISBN 3-540-46837-4

Weblinks

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