16.05.12

Misshandlungen im Emmental - Der Schweizer Kinderhandel

Bis in die siebziger Jahre schickte der Staat in der Schweiz Kleinkinder auf Bauernhöfe. Dort mussten sie schuften und wurden gequält – auch Peter Weber. 

von Paula Scheidt


Das Schweizer Emmental ist eine Idylle. Für die Verdingkinder war es das Gegenteil.  Bild:  dapd/AP
Wenn einer schlechte Laune hatte, damals auf dem Bauernhof im Schweizer Emmental, dann klatschte er Peter Weber eine. Das macht dem nichts, hieß es, der ist dem Teufel vom Wagen gefallen. Und was die Erwachsenen vormachten, das machten die Kinder nach.
Als Peter Weber einmal eine Schubkarre zu früh in die Kurve zog, kippte sie um, das Getreide fiel in den Graben. Da wurde die Bauerntochter wütend. Sie warf ihn zu Boden und trat ihm in die Eier, immer wieder. Da war Peter Weber noch ein Junge. Ein Verdingkind.

Heute ist er 56 und wohnt in Basel in einem Hochhaus. Damals schuftete Weber, wie hunderttausend andere Kinder, auf einem Bauernhof in den Bergen, bei einer fremden Familie. Und die bekam Geld dafür – vom Staat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Verdingkinder noch wie Vieh auf Märkten versteigert – und später dann von den Armenbehörden der Schweiz offiziell als Pflegekinder auf Bauernhöfe gebracht.
Ein guter Deal: Der Staat musste sich nicht um teure Kinderheime kümmern. Und die Familien bekamen Geld von den Behörden dafür, dass sie Verdingkinder aufnahmen.
Mit sechs Jahren das erste Mal eine Unterhose
Paula ScheidtSONNTAZ

Die Ganze Geschichte „Im dunklen Tal seiner Kindheit“ über das Verdingkindwesen in der Schweiz mit Fotos von Stefan Pangritz und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 17. März 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Foto: taz
 
 
 
Und so schälte Peter Weber Kartoffeln, rieb sie auf einer Röstireibe und verfütterte sie an die Hühner, er half bei der Getreideernte, er schleppte Brennholz, er durfte kein Fleisch essen, die anderen schon, und als er mit sechs Jahren eingeschult wurde, mähte er morgens noch schnell das Gras, fütterte und molk die Kühe, ging in die Schule und danach direkt wieder in den Stall. Es war die Zeit, als er zum ersten Mal eine Unterhose anziehen durfte. Wegen des Turnunterrichts.
Jahrzehnte sind vergangen, bis Peter Weber über seine Kindheit sprechen konnte. Noch heute plagen ihn Hodenschmerzen. Er hatte zwei Herzinfarkte, leidet an Diabetes und einer Nervenkrankheit. Wenn eine Hand seinem Kopf zu nahe kommt, zuckt er zusammen. Denn es bedeutet Schläge. Aber all das macht er nicht der Bauerntochter und auch nicht den Eltern zum Vorwurf. Sondern der staatlichen Behörde, die ihn auf diesen Hof gebracht hat. 

Erst 1978 schaffte die Schweiz das Verdingkinderwesen mit einem nationalen Gesetz endgültig ab.
Inzwischen gibt es dort eine Wanderausstellung zum Thema und einen Spielfilm. Mehrere Kantone haben den Betroffenen offiziell ihr Bedauern ausgesprochen, die Regierung hat eine nationale Entschuldigung angekündigt, die nun erwartet wird. 

Peter Webers bester und einziger Freund während seiner Kindheit war das Netteli. Der Hofhund. „Kochen und mit den Hunden sein, das sind die zwei Dinge, die ich kann“, sagt Peter Weber heute.
Was geschieht, als er aufbricht, den Hof von damals zu besuchen, wie sich Historiker das Verdingkinderwesen erklären und wie Weber heute mit seinem Hund Rambo lebt, lesen Sie in der Ganzen Geschichte „Das dunkle Tal seiner Kindheit“ in der sonntaz vom 17. März 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz


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