28.02.13

Interview mit Senta Berger - Schicksal von Heimkindern - "Und alle haben geschwiegen"

Interview mit Senta Berger


Im Drama "Und alle haben geschwiegen" spielt Senta Berger am kommenden Montag eine Hauptrolle. Der Film von Dror Zahavi schildert das Schicksal von Heimkindern aus den 60er-Jahren, die von ihren Erziehern misshandelt wurden. Als Erwachsene wollen sie nun Gerechtigkeit.
Interview: Robert Nehr

Bei der Premiere von „Und alle haben geschwiegen“ in München herrschte im Publikum Schweigen, die Fassungslosigkeit war greifbar. Was löst das in Ihnen als Mitwirkende aus, wenn Sie solche starken Emotionen direkt miterleben?

Berger: Es klingt vielleicht befremdlich, wenn ich sage: Befriedigung. Damit will ich sagen, wir waren davon überzeugt, dass die Geschichte der vergessenen Heimkinder erzählt werden muss und wir waren davon überzeugt, dass der Film Fassungslosigkeit und Mitgefühl auslösen würde - wenn er gelingt. Nach dieser Vorstellung in München haben wir gesehen, dass der Film die Menschen nicht nur erreicht, sondern auch gepackt hat.

In „Und alle haben geschwiegen“ spielt Alicia von Rittberg die junge Luisa. Gestaltet sich die Zusammenarbeit intensiver, tauscht man sich mehr aus, wenn man die gleiche Person in verschiedenen Lebensabschnitten spielt?

Berger: Ich hatte wenig Gelegenheit mit Alicia zu sprechen. Als Matthias Habich und ich unsere Arbeit begonnen haben, war der Teil des Films, der uns in die Vergangenheit zurückführt, bereits abgedreht. Die Produktion hatte mir eine DVD von den bereits gedrehten Szenen geschickt und ich konnte mir ein Bild von der jungen Luisa machen, so wie Alicia sie gespielt hat.

Was halten Sie von den beiden jungen Hauptdarstellern Alicia von Rittberg und Leonard Carow?

Berger: Ich bin von beiden begeistert und beeindruckt. Es ist einfach schön zu sehen, wie kraftvoll und mutig, wie zart und scheu beide spielen. Zwei ganz große Talente.


"Wer bin ich schon?"


Luisa kann in „Und alle haben geschwiegen“ nach langen Jahren ihre schlimmen Erfahrungen verarbeiten. Warum dauert es so lange, bis sie damit an die Öffentlichkeit geht?


Berger: Ja, warum dauert es so lange, bis man sprechen kann? Warum dauert es so lange, bis man es wagt an die Öffentlichkeit zu gehen? Genau weiß ich es nicht. Ich denke, da spielt auch das Gefühl der eigenen Minderwertigkeit, die einem als Kind, als Jugendlicher vermittelt worden ist, ein Rolle. Wer bin ich schon? Wer wird mich hören? Schon als Kind hat keiner mir zugehört. Mit den Jahren, so stelle ich mir es vor, kann man aus einer Distanz erst das ganze Ausmaß der Schäden erkennen, der Beschädigungen, die man fürs Leben davongetragen hat.Und dann, die Dokumente über die Heimkinder in kirchlich geprägten Institutionen sind lange, lange unter Verschluss gehalten worden. Erst jetzt mit der gesellschaftlichen Debatte über Missbrauch von Jugendlichen in überwiegend katholischen Einrichtungen haben die ehemaligen Heimkinder ein Sprachrohr in Peter Wensierski, dem „Spiegel“-Journalisten und in Antja Vollmer, der Vorsitzenden des Ausschusses, der gegründet worden ist ,um den Menschen mit dieser Vergangenheit eine Stimme zu geben.

Der Film beschreibt auch die ausweglose Lage der Heimbewohner. Sie haben niemanden, an den sie sich wenden können, der ihnen zuhört. In der Presseinfo zum Film werden Sie zitiert: „Die heutigen Kontrollen greifen auf eine effizientere Art“. Halten Sie eine solche Lage wirklich für ausgeschlossen?

Berger: Für ausgeschlossen halte ich es nicht. Es gibt immer Menschen, die ihre Macht missbrauchen, und sei ihre Position noch so unbedeutend. Es gibt immer Menschen, die anderen Gewalt antun. Aber es gibt zum Beispiel keine Prügelstrafe mehr. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Schlagen mit dem Lineal, an den Ohren ziehen - das waren bis in die 60er Jahre hinein völlig legale Erziehungsmittel. Schweden - glaube ich - war das erste Land, dass in den 60ern oder erst Anfang der 70er ein Gesetz erließ, dass Schläge in Schulen, aber auch im elterlichen Zuhause unter Strafe stellte. Ich glaube, dass die Jugendlichen heute ein anderes Selbstbewusstsein haben und die Pädagogen ein anderes Verständnis für ihren Beruf. Ich glaube, dass die gesellschaftlichen Strukturen andere sind und wir heute auf mehr Offenheit und Transparenz setzen können als noch vor Jahrzehnten in Deutschland.

Der Film beruht auf wahren Begebenheiten, unter anderem dem Buch von Peter Wensierski. In den 2000ern kam die Problematik an die Öffentlichkeit. Haben Sie das Thema schon damals verfolgt? Wie kamen Sie damit in Kontakt?

Berger: Ich habe schon damals Auszüge aus dem Buch gelesen und zufällig einen oder zwei Dokumentarfilme über das Thema gesehen. Das hat mich nicht mehr losgelassen.


"Er hat so schöne Augen"


Haben Sie sich bei den Vorbereitungen auf die Rolle auch mit einstigen „Heimkindern“ ausgetauscht?


Berger: Nein, dazu hatte ich keine Gelegenheit. Es wäre sicherlich eine interessante Begegnung, mehr als interessant, aber für meine schauspielerische Arbeit wäre es nicht ausschlaggebend gewesen.

Mit welchen Erwartungen gingen Sie an die Arbeit mit Regisseur Dror Zahavi? Wie war die Arbeit mit ihm?

Berger: Ich hatte schon von Kollegen viel von Dror Zahavi gehört und tatsächlich hatte die Produktion von „Unter Verdacht“ ihm bereits die Regie zu einer Folge meiner Reihe angeboten. Ich war also neugierig auf ihn. Wir haben uns sehr gut verstanden. Dror arbeitet sehr ernsthaft, sehr genau. Ich mag das. Und er hat so schöne Augen.

Welches Projekt steht gerade bei Ihnen an? An welchem Film werden Sie demnächst arbeiten?

Berger: Ich werde einen Film mit Jan Schuette machen. Es geht um das sogenannte „Speed-Dating“ und in diesem Fall dreht es sich um bereits ältere Leute. Mario Adorf wird einer meiner Partner sein. Und dann werde ich im April eine neue Folge für „Unter Verdacht“ drehen. Dann werde ich sehen, was das Jahr sonst noch bringt.



 

 

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