16.02.13

Kinderfeindliches Deutschland

Die Sorgen von Millionen Familien

In Deutschland sinkt die Geburtenrate - die Familienpolitik steht auf dem Prüfstand. So schlagen Politiker und Experten unter anderem vor, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Viele Familien fürchten, dann weniger Geld in der Tasche zu haben. report MÜNCHEN mit Beispielen, wie familienunfreundlich es schon heute in Deutschland zugeht. 

Autor: Natalie Amiri, Sebastian Kemnitzer, Hendrik Loven Stand: 12.02.2013
Familie Gaßmann ist eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland. Sie ist eine Großfamilie. Neun Kinder. Doch in der Gesellschaft nicht immer willkommen. 

Alexandra Gaßmann: „Grundsätzlich ist es tatsächlich so, dass die Stimmung in Deutschland nicht für Familien gemacht ist. Im Gegenteil, nicht einmal für kinderreiche Familien. Da muss man noch ganz ganz viel daran tun.“
Wir begleiten Familie Gaßmann einen Tag. Dabei wird klar, warum Deutschland so kinderfeindlich ist.
Beispiel Medikamente. 

Apotheker: „Sie wissen, dass Sie es selbst bezahlen müssen?“

Alexandra Gaßmann: „Ja (Pause) leider.“
Alltägliche rezeptfreie Medikamente gegen Husten oder Schnupfen schlagen voll zu Buche. Denn ab dem 12. Lebensjahr muss diese jeder selber zahlen. Kinderrabatt? Fehlanzeige.
Auch in der Stadt. Will Familie Gaßmann hier Busfahren gibt es keine Familienkarte. Sie braucht zwei Partnertageskarten. Insgesamt über 20 Euro. In Deutschland endet eine Familie bei fünf Personen.

Es geht zum Schwimmen. Auch hier: Eigene Kinder sind nur bis zum 14. Lebensjahr im Familienticket inbegriffen. Für Familie Gaßmann mit älteren Kindern bedeutet das insgesamt 85,20 Euro für einen Tag Schwimmen. Ein Ticket für die ganze Familie? Gibt es nicht.

In der Nähe von Nürnberg treffen wir Familie Sontheimer. Meike Haug-Sontheimer hat sich für die ersten Jahre für die Kindererziehung entschieden, ihr Mann arbeitet als Ingenieur. Auch sie fühlen sich als Familie nicht genügend von Gesellschaft und Politik unterstützt.

Thomas Sontheimer: „Wenn man sich im Mittelstand sag ich mal keine Familie mehr leisten kann mit drei Kindern, das ja im Wesentlichen auch sicherlich von der Politik und von der Gesellschaft irgendwo ja gewollt ist, dass wir entsprechend für Nachwuchs im Land in Anführungszeichen ja sorgen, dann muss man sich schon die Frage stellen, wo die Realitäten dann noch wahrgenommen werden.“
 
 So heißt es:
 „Ehegattensplitting abschaffen“, das „Kindergeld reduzieren“ oder manchmal soll die „kostenlose Mitversicherung weg“.
Kanzlerkandidat Peer Steinbrück macht damit Wahlkampf:

Peer Steinbrück: „Die SPD wird dafür eintreten, dieses Ehegattensplitting abzuschaffen und zu ersetzen.“
Komisch: Dabei sagte er vorher noch als Bundesfinanzminister:

Peer Steinbrück: „Diejenigen, die von einer Abschaffung des Ehegattensplittings betroffen wären, sind im weit überwiegenden Maße Ehepaare mit einem Verdiener und einem oder zwei Kindern. Also eigentlich genau der Teil der Gesellschaft, für den wir etwas tun wollen.“      

Denn ein Jahr zuvor veröffentlichte das damals SPD-geführte Bundesfinanzministerium einen Bericht. Dort heißt es zum Ehegattensplitting im Fazit:

Wegen der steuerlichen Belastungen „sind die Spielräume für Änderungen bei der Ehegattenbesteuerung wohl sehr eng“.
Peer Steinbrück will trotz mehrfacher Anfrage nicht mit uns über die Abschaffung des Ehegattensplittings sprechen. Er und seine Partei möchten das Geld in Betreuungsplätze stecken. Doch macht das mehr Sinn? Wir fahren nach Bonn und treffen einen Demographie-Experten. Die Geburtenrate in Ehen sei wesentlich höher: 

Prof. Tilman Mayer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie: „Also ich würde der politischen Öffentlichkeit und auch der Politik raten, an einem Instrument, das sich insgesamt bewährt hat, festhalten, einfach weil auch die Planungen des Kinder-Habens damit verbunden sind nach aller Erfahrung.“
Was würde die Abschaffung des Ehegattensplittings für Durchschnittsfamilien wie die Sontheimers bedeuten? Sie haben es sich schon ausgerechnet: Mehr als 4000 Euro weniger hätten sie im Jahr und nicht nur das.

Meike Haug-Sontheimer: „Das würde für uns bedeuten, dass ich nicht zuhause bleiben könnte und die Kleine in die Krippe geben müsste, um selber zu arbeiten. Das wäre für uns einfach ein ganz entscheidender Einschnitt in die Wahlfreiheit.“
Auch vom Bund der Steuerzahler kommt scharfe Kritik gegen die geplanten Maßnahmen. 

Reiner Holznagel, Präsident Bund der Steuerzahler: „Für Familien mit mittlerem Einkommen, aber auch mit niedrigem Einkommen würde die Abschaffung des Ehegattensplittings eine deutliche Steuererhöhung bedeuten und das würde vollkommen dem Ziel entgegenstehen, dass man eben Familien und Ehe auch fördert.“
In Köln treffen wir Fritz Burgbacher. Hausmann. Es heißt immer wieder: Das Ehegattensplitting sei konservativ, verstaubt, nur für klassische Ehen. Auf Fritz Burgbacher trifft das nicht zu. Er bleibt daheim, während seine Frau Vollzeit arbeitet. Was wäre ohne Ehegattensplitting?

Fritz Burgbacher: „Ich denke, für Familien wie uns wie für andere nach klassischem Rollenverständnis wird es auf dasselbe hinauslaufen: das beide finanziell eingeschränkt würden.“
Universität Tübingen: Wir reden mit dem renommierten Staatsrechtler Christian Seiler. In der Ehe werden nicht nur mehr als 70 Prozent aller Kinder geboren. In der Ehe werden auch Leistungen erbracht, die den Staat entlasten. Daher auch der besondere Schutz im Grundgesetz.

Prof. Christian Seiler, Staatsrecht Universität Tübingen: „Das Grundgesetz versteht den Artikel 6 (1) des Grundgesetz, die Ehe, als eine Gemeinschaft, in der Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Stellen Sie sich nur einmal vor, all die Leistungen der Betreuung von Kranken, von Alten und so weiter, die in der Ehe geleistet werden, müsste der Sozialstaat übernehmen – er wäre damit rasch überfordert.“
Gerade wegen des Schutzes im Grundgesetz. Deutschland muss kinderfreundlicher werden. Dazu sollte man jedoch nicht mehr über, sondern mit den Familien reden.

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http://blog.br.de/report-muenchen/2013/6095/kinderfeindliches-deutschland-die-sorgen-von-millionen-familien.html

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